Dienstag, 29. Januar 2013

Die Tekos-Schule: 11 Jahre Schule in einem Jahr

"Die Tekos-Schule: 11 Jahre Schule in einem Jahr

Der Mensch weiß alles - Alle Kinder sind Genies

Eine russische Schule stellt vieles auf den Kopf, was wir über Kinder und Lernen zu wissen glauben. In einem bis vier Jahren sollen die Schüler dort den gesamten Stoff von normalerweise 11 Jahren Schule absolvieren. Mit 13 studieren einige schon an Universitäten. Was ist das Geheimnis dieser Schule?


Die Schetinin-Schule in Russland: Stille Revolution

Die Stadt Gelendzhik in der Krasnodar-Region am Schwarzen Meer ist nicht gerade eine Metropole, von der man Revolutionen erwartet. Doch in den Wäldern verbirgt sich eine Schule, welche vieles in Frage stellt, was wir über das Lernen und Schule zu wissen glauben. Der ehemalige Musiklehrer Michail Petrowitsch Schetinin (auch: Mikhail Petrovich Shchetinin) hat dort ein Wald-Internat aufgebaut, das ein völlig anderes Konzept von Schule verwirklicht und atemberaubende Ergebnisse hervorbringt: die Shkola Akademika Schetinina. ..." mehr

Sonntag, 20. Januar 2013

Macht Eintrichtern schlauer? Studien zufolge funktioniert Frontalunterricht besser als offenere Unterrichtsformen





Aktuelles Schwerpunkthema:  

Macht Eintrichtern schlauer?
Studien zufolge funktioniert Frontalunterricht besser als offenere Unterrichtsformen

Selbstorganisiert, individuell abgestimmt, problemorientiert, kurzum: möglichst offen – so hat moderner, guter Unterricht zu sein, predigen Reformpädagogen seit Jahren. Lehrer stehen heute in vielen deutschen Klassenzimmern am Rande, sind Lernbegleiter – und nicht mehr Regisseure ihres Unterrichts. Klassischer Frontalunterricht gilt heute dagegen als pädagogisches Relikt von vorgestern. Doch führen offene Lehrmethoden auch zu besseren Lernergebnissen? Zwei neue Untersuchungen zweifeln das an: Schüler lernen am besten, wenn Lehrer ihre Klasse stringent führen, stets im Griff haben und ihren Unterricht klar strukturieren – zu diesem Ergebnis kommt der neuseeländische Bildungsforscher John Hattie in seiner großangelegten Bildungs-Metastudie. Und auch das Münchner Ifo-Institut hat herausgefunden: Mehr Frontalunterricht führt zu besseren Lernleistungen.

PISAplus fragt nach: Ist die Reformpädagogik der letzten Jahrzehnte gescheitert?  Was zeichnet guten Frontalunterricht aus? Ist offener, selbstorganisierter Unterricht unter Bedingungen des Turboabiturs überhaupt möglich?  Und: Wenn es vor allem "auf den Lehrer ankommt" - wählen wir Lehramtsstudenten angemessen aus?

Gesprächsgäste sind:

* Hilbert Meyer, Professor em. für Schulpädagogik an der Universität Oldenburg

* Michael Felten, Gymnasiallehrer und Autor des Buches „Schluss mit dem Bildungsgerede!“

* Walter Hövel, Schulleiter an der alternativen „Grundschule Harmonie“


Als Beitrag dazu vorgesehen:

Stephanie Kowaleswski      Frontal oder offen?  
Welche Unterrichtsmethoden Schüler und Lehrer favorisieren.

Außerdem aktuelle Meldungen aus der Bildungspolitik

Eine Sendung mit Hörerbeteiligung über Telefonhotline 00800 – 4464 4464 oder Mail an pisaplus@dradio.de

Moderation: Manfred Götzke


Sonntag, 6. Januar 2013

Methodos - Wenn Schüler ihre eigene Schule gründen


http://methodos-ev.org/

und ein Buch drüber schreiben:
 
 Buchcover "Revolution im Klassenzimmer"

http://fliegen-lernen.jimdo.com/

:)

Education is Everything- Winner OECD Video Competition 2012

link

Published on Mar 31, 2012
Entry for OECD Video Competition 2012- Conceptualized, Shot and Edited by Rachit Sai Barak.

Peter Gray Trustful Parenting

Peter Gray, Boston College. Berlin, 3.12.2012:

Vortrag im Original hier

Vertrauensvolle Erziehung [Trustful Parenting] erfordert unter Umständen eine
Alternative zum konventionellen Schulsystem
Ich finde es hilfreich, vertrauensvolle Erziehung zwei weiteren Erziehungsstilen gegenüberzustellen,
Erziehungsstilen, die ich als direktiv bezeichne.

A. Drei Erziehungsstile

1. Vertrauensvolle Erziehung basiert auf der Annahme, dass Kinder von Natur aus widerstandsfähig, kompetent,   sozial und selbstgesteuert sind. Vertrauensvolle Eltern trauen ihren Kindern zu, alleine zu spielen und zu entdecken, ihre persönlichen Entscheidungen zu treffen, Risiken einzugehen und aus ihren eigenen Fehlern zu lernen. Vertrauensvolle Eltern beglucken nicht ihre Kinder. Sie messen oder steuern die  Entwicklung ihrer Kinder nicht, weil sie darauf vertrauen, dass ihre Kinder ihre Entwicklung selbst steuern.
Vertrauensvolle Eltern sind keine vernachlässigenden Eltern. Sie sorgen nicht nur für Freiheit, sondern auch für die Nahrung, die Liebe, den Respekt, die moralischen Vorbilder und die Bedingungen im Umfeld, die für eine gesunde Entwicklung vonnöten sind.
Statt zu versuchen, die Entwicklung ihrer Kinder zu lenken, unterstützen sie sie, indem sie den Kindern helfen, die eigenen Ziele zu erreichen, wenn ihre Hilfe gefragt ist.
Vertrauensvolle Erziehung sendet den Kindern folgende Botschaften: Du bist kompetent. Du hast Augen und
ein Gehirn und bist in der Lage, Dinge herauszufinden. Du kennst deine eigenen Fähigkeiten und Grenzen.
Durch Spielen und Erforschen wirst du dir aneignen, was du wissen musst. Deine Bedürfnisse werden gewürdigt. Deine Meinung zählt. Du bist für deine Fehler selbst verantwortlich, und man kann darauf
vertrauen, dass du aus ihnen lernst. Das Sozialleben zeichnet sich nicht durch Willenskämpfe aus, sondern
vielmehr dadurch, einander so beizustehen, dass alle das bekommen können, was sie brauchen und sich am
meisten wünschen. Wir sind auf deiner Seite, nicht gegen dich.
Historisch gesehen ist vertrauensvolle Erziehung der Erziehungsstil, der in unserer Evolutionsgeschichte vor
dem Einsetzen der Landwirtschaft vorherrschend war. Wie ich gleich näher erläutern werde, handelt es sich
dabei um den vorherrschenden Erziehungsstil der Jäger und Sammler.

Im Gegensatz dazu:

2. Direktiv-autoritäre Erziehung basiert auf der Annahme, dass Kinder von Natur aus sündhaft oder unzivilisiert sind und der Korrektur bedürfen. Das Ziel ist Gehorsamstraining und Indoktrination.
Historisch betrachtet kam dieser Erziehungsstil mit der Entstehung der Landwirtschaft auf, beginnend vor
mehreren Tausend Jahren: er war zu biblischen Zeiten vorherrschend und hielt sich durch den Feudalismus
bis ins frühe Industriezeitalter.
Die meiste Zeit über war die Mehrheit der Leute, einschließlich der Mehrheit der Kinder, Leibeigene,
Bedienstete oder Sklaven der einen oder anderen Art für Herren und Meister. Unbedingter Gehorsam konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen; daher verschob sich das Ziel von Kindererziehung: statt freie und unabhängige Individuen heranzuziehen, erschuf man unterwürfige Wesen.
Statt den Willen des Kindes zu fördern, versuchen direktiv-autoritäre Eltern, diesen Willen zu brechen und ihn  durch die Bereitschaft zu ersetzen, sich dem Willen Anderer zu unterwerfen.
Körperliche Züchtigungen waren ein übliches und weithin anerkanntes Mittel, um den Willen zu unterdrücken.
All die biblischen Gebote über die Notwendigkeit, Kinder zu schlagen, um sie gehorsam zu machen, können
als Manifestationen der direktiv-autoritären Erziehung aufgefasst werden.
In jüngerer Zeit wurden körperliche Züchtigungen zumindest in einigen Familien durch psychische Schläge als
Hauptmittel der direktiv-autoritären Erziehung abgelöst. Regelmäßiges Einflößen von Schuldgefühlen oder
Scham, die Androhung von Verlassen oder Liebesentzug können sogar noch erfolgreicher als die Rute sein,
wenn es darum geht, Kindern Gehorsam einzubläuen. Aber unabhängig davon, welche Mittel eingesetzt werden, ist das Ziel eines direktiv-autoritären Erziehungsberechtigten, das Kind in einen Knecht zu
verwandeln.
Aus der Geschichte wissen wir, dass die direktiv-autoritäre Erziehung niemals völlig effektiv war. Freiheit ist
ein so starker Antrieb, dass sie einer Person niemals völlig ausgeprügelt werden kann, unabhängig davon, wie
alt die Person ist. Selbst beim demütigsten Diener oder beim folgsamsten Kind brodelt der freie Wille weiter
unter der Oberfläche, bereit überzukochen, sobald der Deckel gelockert wird. Daher sind auch Gesellschaften, in denen die breite Masse von einigen Wenigen kontrolliert wird, niemals stabil. Auf lange Sicht funktioniert der direktiv-autoritäre Stil zu Hause auch nicht besser als auf Staatsebene.

3. Direktiv-behütende Erziehung basiert auf der Annahme, dass Kinder von Natur aus zerbrechlich und
inkompetent sind und mehr oder weniger ständiger Anleitung bedürfen. Dieser Erziehungsstil herrscht heute
in den meisten Teilen der entwickelten Welt vor.
Direktiv-behütende Eltern beschränken die Freiheit ihrer Kinder nicht, um sie zur Arbeit auf dem Feld oder in  der Fabrik zu zwingen, oder um sie unterwürfig zu machen, wie dies direktiv-autoritäre Eltern taten. Vielmehr beschränken sie die Freiheit, weil sie sich um die Sicherheit und Zukunft ihrer Kinder sorgen und davon überzeugt sind, dass sie bessere Entscheidungen für ihre Kinder treffen können als diese es selbst könnten.
Mit all ihren gut gemeinten Absichten berauben direktiv-behütende Eltern ihre Kinder der Freiheit mindestens
in gleichem Maße, wie dies die direktiv-autoritären Eltern der Vergangenheit getan haben. Direktiv-behütende Eltern schlagen zwar ihre Kinder nicht, benutzen jedoch jegliche andere Mittel, die ihnen als Versorger zur Verfügung stehen, um das Leben ihrer Kinder zu kontrollieren.
Während vertrauensvolle Eltern glauben, dass sich ihre Kinder am besten entwickeln, wenn sie selbständig
spielen und entdecken dürfen, glauben direktiv-behütende Eltern, dass es für die Entwicklung am besten ist,
wenn die Kinder einem Pfad folgen, den Erwachsene sorgfältig für sie angelegt haben.
Wie ich später noch genauer erläutern werde, ist die direktiv-behütende Erziehungsphilosophie eine
selbsterfüllende Philosophie. Kinder, die wie zerbrechliche und inkompetente Wesen behandelt werden, die
ständiger Anleitung bedürfen, werden in der Tat häufig zerbrechlich, inkompetent und brauchen beständige
Anleitung.

Ich sollte vielleicht erwähnen, dass keiner der drei Erziehungsstile, die ich gerade beschrieben habe, absolut ist. Sie können auf jede erdenkliche Weise in allerlei Abstufungen miteinander verschmelzen. Die meisten Eltern vertreten heutzutage einen Mix aus allen drei Stilen, wobei der direktiv-behütende Ansatz im Allgemeinen vorherrschend ist.
Ich behaupte, dass vertrauensvolle Erziehung das Ideal darstellt und auch die natürlichste Form der Erziehung
ist. Allerdings ist es heutzutage schwer, vertrauensvolle Eltern zu sein, da der gesellschaftliche Druck dem
entgegenarbeitet. Anthropologen berichten uns, dass die Jäger und Sammler die Superstars der vertrauensvollen Erziehung waren. Daher werde ich jetzt einige Zeit darauf verwenden, über die vertrauensvolle Erziehung der Menschen in Jäger-und-Sammler-Kulturen zu sprechen, um dann von dort ausgehend über vertrauensvolle Erziehung in unserer heutigen Kultur zu sprechen.

B. Die vertrauensvolle Erziehung der Jäger und Sammler

1. Warum Jäger und Sammler interessant für Leute sind, die die menschliche Natur verstehen wollen

Genetisch gesehen sind wir alle Jäger und Sammler. Natürliche Selektion hat uns über Hunderttausende von
Jahren hinweg für diese Daseinsform geprägt. Anthropologen haben die Existenz von Jägern und Sammlern
treffend als die einzig stabile Lebensweise beschrieben, die unsere Spezies jemals kannte.
Ackerbau tritt zum ersten Mal vor knapp 10.000 Jahren auf dem westasiatischen Fruchtbaren Halbmond auf, in verschiedenen anderen Teilen der Welt sogar erst bedeutend später. Diese Erfindung setzte einen Sturm von Veränderungen in der Lebensweise der Menschen in Gang; Veränderungen, die die natürliche Selektionsrate bei weitem überholt haben; Veränderungen, an die wir uns so gut wie möglich anpassen mussten, mit dem biologischen Apparat, der sich entwickelt hat, um unsere Bedürfnisse als Jäger und Sammler zu befriedigen.
Wenn wir, ganz willkürlich, den Beginn der Menschheitsgeschichte vor einer Million Jahren ansetzen, dann
waren wir während 99% dieser Geschichte alle Jäger und Sammler.
Die ursprüngliche Lebensweise der Jäger und Sammler ist heute beinahe ausgestorben, verdrängt durch die
Invasion von Ackerbau, Industrie und moderner Lebensweise ganz allgemein. Und doch konnten
Anthropologen erst in den 1970er und 1980er Jahren und zum Teil noch später in schwer erreichbare Teile der Erde vordringen und dort Jäger-und-Sammler-Völker entdecken, die von den Entwicklungen in der restlichen Welt so gut wie unberührt geblieben waren.
Natürlich sind diese Jäger-und-Sammler-Völker nicht unsere Vorfahren; dennoch können wir davon ausgehen, dass deren Kulturen denen unserer vor-landwirtschaftlichen Vorfahren sehr viel ähnlicher sind als der Kultur, die Sie und ich tagtäglich erleben.
Wenn ich hier die Praktiken der Jäger und Sammler beschreibe, werde ich verwenden, was die Anthropologen als ethnografisches Präsens bezeichnen, sprich: die Gegenwartsform, die sich auf die Zeit bezieht, als die
Studien durchgeführt wurden, selbst in Fällen, in denen diese Praktiken heute nicht mehr existieren.
Jäger-und-Sammlergesellschaften aus verschiedenen Teilen der Welt unterscheiden sich auf vielfältige Weise
voneinander. Sie haben unterschiedliche Wohnstätten, Sprachen, Zeremonien und Kunstformen. Und dennoch sind sie sich trotz dieser Unterschiede – ob sie sich in Afrika, Asien, Südamerika oder sonst wo befinden – auf eine bestimmte, grundlegende Art und Weise bemerkenswert ähnlich.
Sie verfügen über ähnliche Gesellschaftsstrukturen, ähnliche Wertvorstellungen und ähnliche Weisen, Kinder
groß zu ziehen. Diese Ähnlichkeit erlaubt es Forschern, von einer „Jäger-und-Sammlerkultur“ im Singular zu
sprechen, und verleiht der Sichtweise Gewicht, dass diese Gemeinschaften im wesentlichen solche
Gesellschaftsarten repräsentieren, wie sie vor dem Einsetzen des Ackerbaus vorherrschend waren.

2. Charakteristika der Jäger-und-Sammler-Kollektive: Grundwerte sind Freiheit, Teilen und Gleichberechtigung

Wo man auf Jäger und Sammler trifft, leben sie in kleinen Gruppen zusammen (typischerweise 20 bis 50
Personen inklusive der Kinder), die innerhalb großer und doch umgrenzter Gebiete von Ort zu Ort ziehen,
wobei sie dem verfügbaren Wild und der Vegetation folgen. Ihre gesellschaftlichen Grundwerte, wie sie von
nahezu allen Forschern, die sich mit ihnen beschäftigt haben, beschrieben werden, sind Freiheit, Teilen und
Gleichberechtigung. Im Allgemeinen besitzen wir diese Werte in modernen demokratischen Kulturen
ebenfalls, doch sind ihr Verständnis und ihre Betonung dieser Werte weitaus weitreichender als bei uns.
Der Freiheitssinn der Jäger und Sammler ist so ausgeprägt, dass sie es ablehnen, einander zu sagen, was sie tun sollen. Sie verzichten sogar darauf, einander ungebetene Ratschläge zu erteilen, um den Eindruck zu
vermeiden, in die Freiheit des Anderen einzugreifen. Jede Person, einschließlich jedes Kind, ist Tag für Tag
frei, seine eigenen Entscheidungen zu treffen, solange diese Entscheidungen nicht die Freiheiten anderer
beeinträchtigen oder ein gesellschaftliches Tabu verletzen.
Ihre Selbstbestimmung beinhaltet jedoch nicht das Recht, Privateigentum zu horten oder andere in der eigenen Schuld stehen zu lassen, denn dies würde ihrem zweiten großen Wert widersprechen: Teilen.
Von einem ökonomischen Standpunkt aus betrachtet ist Teilen der Zweck des Jäger-und-Sammler-Kollektivs.
Menschen teilen bereitwillig ihre Fähigkeiten und Leistungen, während sie zusammen daran arbeiten,
Nahrung zu beschaffen, sich gegen Raubtiere zu verteidigen und sich um Kinder zu kümmern. Sie teilen
Nahrung und materielle Güter mit jedem in der Gruppe und selbst mit Mitgliedern anderer Gruppen. Gerade
solch bereitwilliges Teilen hat es Jägern und Sammlern offensichtlich ermöglicht, so lange unter derart
herausfordernden Bedingungen zu überleben. Eng verbunden mit ihrem Sinn für Selbstbestimmung und erwartungsgemäßes Teilen ist das, was der Anthropologe Richard Lee „vehementen Egalitarismus“ der Jäger und Sammler nennt. Ihr Egalitarismus geht weit über das moderne westliche Verständnis von Chancengleichheit hinaus. Er bedeutet, dass die Bedürfnisse aller gleich wichtig sind, niemand wird als den Anderen überlegen angesehen, und niemand besitzt mehr materielle Güter als jeder andere. Derlei Gleichheit ist wesentlicher Bestandteil ihres Freiheitssinns, da Ungleichheiten diejenigen, die mehr besitzen oder sich selbst für überlegen halten, dazu führen könnten, jene zu dominieren, die weniger haben.
Im Einklang mit ihrer hohen Wertschätzung der individuellen Selbstbestimmung und Gleichberechtigung haben
Jäger-und-Sammler-Kollektive keine Anführer oder Häuptlinge in der Art, wie man sie häufig in primitiven
Ackerbaugesellschaften vorfindet, und die Entscheidungen für die ganze Gruppe treffen. Manche Jäger-und-
Sammler-Kollektive haben überhaupt keinen gängigen Anführer. Andere haben zwar einen vorgeblichen
Anführer, der im Verhandeln mit anderen Gruppen für die Gemeinschaft spricht, jedoch nicht mehr formale
Entscheidungsgewalt besitzt als jeder andere.
Entscheidungen, die die Gemeinschaft als Ganzes betreffen, also wann zum Beispiel zu einem anderen
Lagerplatz gezogen wird, werden in Gruppendiskussionen getroffen, die Stunden oder Tage andauern können, bevor eine Einigung erzielt und in Aktion getreten wird. Frauen nehmen ebenso wie Männer an diesen Debatten teil, und selbst Kinder dürfen ihre Meinungen äußern.
Manche Leute sind dafür bekannt weiser als andere zu sein, und haben deshalb mehr Einfluss, aber jegliche
Macht, die sie ausüben, resultiert aus ihren Fähigkeiten, andere zu überzeugen und Kompromisse zu finden,
die die Wünsche aller berücksichtigen.

3. Erwachsene behandeln Kinder auf nachsichtige, vertrauens- und respektvolle Weise

Der Geist von Gleichberechtigung und Freiheit, der die sozialen Beziehungen der Jäger und Sammler durchdringt, gilt für Interaktionen Erwachsener mit Kindern ebenso wie für Interaktionen der Erwachsenen untereinander.
Der zentrale Grundsatz ihrer Erziehung und Bildungsphilosophie scheint es zu sein, dass man den Instinkten
von Kindern vertrauen kann, dass Kinder, denen man erlaubt, ihrem eigenen Willen zu folgen, das lernen
werden, was sie wissen müssen, und dass sie naturgemäß anfangen werden, zum Ertrag der Gemeinschaft
beizusteuern, sobald sie die Fähigkeiten und die Reife dazu haben.
Um diese vertrauensvolle Haltung zu verdeutlichen, werde ich fünf kurze Zitate nennen, jedes von einem
anderen Forscher bezüglich einer anderen Jäger-und-Sammler-Kultur:
• „Die Kinder der [australischen] Aborigines werden in extremer Weise verwöhnt und manchmal gestillt, bis sie vier oder fünf Jahre alt sind. Körperliche Bestrafung eines Kindes ist quasi unbekannt.“ (Richard Gould)
• „Jäger und Sammler geben ihren Kindern keine Befehle. So kündigt beispielsweise kein Erwachsener die
Schlafenszeit an. Die Kinder bleiben nachts bei den Erwachsenen, bis sie müde werden und einschlafen.
Erwachsene Parakana mischen sich nicht in das Leben ihrer Kinder ein. Sie schlagen oder beschimpfen sie
niemals oder verhalten sich ihnen gegenüber aggressiv, weder physisch noch verbal. Ebenso wenig loben sie
sie oder überwachen ihren Entwicklungsverlauf.“ (Yumi Gosso)
• „>Dies ist 'mein Kind' oder 'dein Kind'< ist eine Vorstellung, die [bei den Yequana] nicht existiert. Es liegt
außerhalb des Verhaltenswortschatzes der Yequana, zu entscheiden, wie eine andere Person sich verhalten
sollte, unabhängig von deren Alter. Es gibt große Anteilnahme am Tun der Anderen, jedoch keinerlei Drang,
irgendjemanden zu beeinflussen oder gar zu nötigen. Der Wille des Kindes ist seine Antriebskraft.“ (Jean
Liedloff)
• „[Bei den Inuit der Hudson Bay Gegend] ist es Kleinkindern und jungen Kindern überlassen, ihre Umgebung im Rahmen ihrer physischen Fähigkeiten und unter minimaler erwachsener Einflussnahme zu erkunden.
Wenn ein Kind also einen gefährlichen Gegenstand aufhebt, lassen es die Eltern im allgemeinen selbst die
Gefahren herausfinden. Es wird davon ausgegangen, dass das Kind weiß, was es tut.“ (Lee Guemple)
• „Die Kinder der Ju/’hoansi weinten höchst selten, vermutlich, weil es wenig zu weinen gab. Kein Kind wurde jemals angeschrien, geohrfeigt oder physisch bestraft, und wenige wurden auch nur zurechtgewiesen. Die meisten haben niemals ein entmutigendes Wort gehört, bis sie in jugendliches Alter kamen, und selbst dann wurde Tadel, wenn es denn überhaupt Tadel war, mit sanfter Stimme vorgetragen.“ (Elizabeth Marshall
Thomas, in: The Old Way)
In unserer Kultur würden die meisten Menschen solche Nachsicht als eine Methode ansehen, verzogene,
heischende Kinder hervorzubringen, die zu verzogenen, heischenden Erwachsenen heranwachsen. Zumindest
im Kontext der Lebensweise der Jäger und Sammler könnte allerdings diese Meinung irriger nicht sein.
Elizabeth Marshall Thomas, eine der frühesten Beobachterinnen der Ju/’hoansi, beantwortet die Frage nach
dem Verhätscheln wie folgt:
„Manchmal erzählt man uns, dass Kinder, die so gutherzig behandelt werden, verzogen werden, doch dies
liegt daran, dass diejenigen, die eine solche Meinung vertreten, keine Ahnung haben, wie nutzbringend ein
derartiges Vorgehen sein kann. Frei von Frust oder Sorge, sonnig und kooperativ, ... die Kinder der
Juhoansi waren der Traum aller Eltern. Keine Kultur kann jemals bessere, intelligentere, liebenswertere
und selbstbewusstere Kinder großgezogen haben.“

C. Wie sich die Kinder der Jäger und Sammler durch Spielen selbst bilden

1. Kinder spielen im Prinzip den ganzen Tag frei in altersgemischten Gruppen ohne Anleitung durch
Erwachsene

Angesichts dieser verständnis- und vertrauensvollen Haltung ist es nicht weiter überraschend, dass die Kinder in Jäger-und-Sammler-Kulturen ihre meiste Zeit damit verbringen dürfen, frei zu spielen und zu erforschen.
Unter den meisten erwachsenen Jägern und Sammlern herrscht die allgemeine, durch jahrhundertelange
Erfahrung gestützte Überzeugung vor, dass Kinder sich selbst bilden, indem sie eigenverantwortlich spielen
und erkunden.
Um mehr über das Leben der Kinder der Jäger und Sammler zu erfahren, haben mein damaliger Doktorand
Jonathan Ogas und ich eine Umfrage unter zehn prominenten Forschern durchgeführt, die verschiedene Jäger- Sammler-Kulturen erforscht hatten.
Auf unsere Frage: „Wie viel freie Zeit zum Spielen hatten die Kinder innerhalb der Gruppe, die Sie untersucht
haben?“, antworteten alle Forscher, dass die Kinder quasi den ganzen Tag zum Spielen zur Verfügung hatten,
und zwar jeden Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Hier drei typische Antworten:
• „Sowohl Jungen als auch Mädchen hatten täglich fast den ganzen Tag zur Verfügung, um zu spielen.“ (Alan
Brainard über die Nharo, Südafrika)
• „Die Kinder hatten fast immer Zeit zum Spielen; bis ins späte Teenageralter erwartete niemand von den
Kindern, ernsthafte Aufgaben zu erledigen.“ (Karen Endicott über die Batek)
• „Die Jungen konnten bis zum Alter von 15 bis 17 Jahren fast immer spielen; die Mädchen verbrachten die
meiste Zeit bis auf wenige Botengänge und etwas Babysitting mit Spielen.“ (Robert Bailey, über die Efé)
Die Kinder der Jäger und Sammler spielten zwangsläufig in altersgemischten Gruppen. Da die Jäger-und-
Sammler-Kollektive klein sind und sich Geburten in großen zeitlichen Abständen ereignen, ist die Anzahl an
potentiellen Spielkameraden für jedes vorhandene Kind begrenzt. Selbst wenn sich die Kinder der Jäger und
Sammler nach Alter absondern wollten, fänden sich selten mehr als ein oder zwei Spielgefährten mit nur ein
oder zwei Jahren Abstand zum eigenen Alter, oft sogar gar keine. Eine typische Spielgemeinschaft könnte aus einem halben Dutzend Kindern zwischen 4 und 11 oder 9 und 15 Jahren bestehen.
Teile meiner eigenen, in den USA durchgeführten Forschungen deuten darauf hin, dass altersgemischtes Spiel
von Natur aus weniger wettbewerbsorientiert, zugleich aber förderlicher ist als das Spielen in altershomogenen Gruppen. Unterscheiden sich Spielkameraden sehr deutlich hinsichtlich ihres Alters, ihrer
Größe und ihrer Stärke, macht es schlichtweg keinen Sinn, sich vor dem anderen herauszustellen. In solchen
Spielsituationen helfen die älteren Kinder typischerweise den jüngeren Kindern aus; das ermöglicht den
jüngeren Kindern, auf anspruchsvollere Weise zu spielen, als sie dies alleine täten, während die Älteren
wertvolle Erfahrungen darin sammeln, zu helfen und sich um andere zu kümmern.

2. Durch Spielen erarbeiten sich Kinder das Wissen ihrer Kultur über Existenzsicherung und Lebensgestaltung
Die Kinder von Jägern und Sammlern können im Wesentlichen alles, was die Erwachsenen ihrer Gemeinschaft tun, direkt beobachten. Sie integrieren diese Tätigkeiten in ihr Spiel und werden dadurch geschickt darin.
Unsere Umfrage dazu, welche Arten des Spielens unsere Befragten beobachtet haben, ergab eine lange
Beispielliste an Aktivitäten, die eindeutig erwachsene Tätigkeiten nachahmten. Hier eine Auswahl:
Pfeile und Bögen herstellen und damit schießen, Spuren von Tieren und einander verfolgen, Knollen ausgraben, angeln, Stachelschweine aus ihren Löchern ausräuchern, kochen, sich um Babies kümmern, auf Bäume klettern, Strickleitern und Hütten bauen, Messer und andere Werkzeuge benutzen und herstellen, schwere Lasten tragen, Flöße bauen, Feuer machen, sich gegen die Angriffe vermeintlicher Raubtiere verteidigen, Tiere nachahmen (ein Mittel, um Tiere zu identifizieren und ihre Gewohnheiten kennenzulernen), Musik machen, tanzen, Geschichten erzählen, sich streiten…
All dies wurde von einem oder mehreren der Befragten erwähnt. Die jeweilige Liste variierte von Kultur zu
Kultur, je nach den Unterschieden bei den Fertigkeiten, die von den Erwachsenen in der jeweiligen Kultur
vorgelebt wurden.
Nun möchte ich die These aufstellen, dass Spielen Kindern nicht nur das nötige Erwachsenen-Wissen über
Existenzsicherung und Lebensgestaltung vermittelt, sondern zudem auch ihre soziale und emotionale
Entwicklung befördert.

3. Beim Spielen üben Kinder Freiheit, Gleichberechtigung, Zusammenarbeit und Teilen

Die Natur von Spiel ist eine Übung in Freiheit. Jegliche Definition von Spiel beinhaltet, dass es sich um eine
selbsterwählte und selbstgesteuerte Aktivität handelt. Spiel ist etwas, das man tun möchte, und nicht etwas,
wozu man sich gezwungen fühlt.
Die grundlegendste Freiheit von Spiel besteht in der Freiheit, damit aufzuhören; aufgrund dieser Freiheit ist
soziales Spiel immer eine Übung in Sachen Gleichberechtigung, Zusammenarbeit, Teilen sowie Freiheit.
Lassen Sie mich das erklären.
Wann immer Kinder zusammen spielen, müssen sie sich gemeinsam darauf einigen, was und wie gespielt wird, und sie müssen dies auf eine Weise tun, dass sich niemand genötigt fühlt. Die Spieler wissen, dass Mitspieler, die sich genötigt fühlen oder sonst wie unzufrieden sind, aufhören werden, und falls zu viele aufhören, endet das Spiel. Um das Spiel also am Laufen zu halten, müssen die Spieler nicht nur ihre eigenen Wünsche befriedigen, sondern auch die der anderen Spieler.
Das starke Bedürfnis von Kindern, mit anderen Kindern zu spielen, ist daher ein starker Anreiz für sie zu
lernen, die Dinge vom Standpunkt anderer zu sehen, den Wünschen anderer Beachtung zu schenken und
Differenzen auszuhandeln. Es ist ein mächtiger Antrieb für Kinder zu lernen, die Bedürfnisse anderer als
gleichwertig mit ihren eigenen zu behandeln, und zu lernen, wie man zusammenarbeitet und teilt.
Soziales Spiel ist von Natur aus eine Übung in Zusammenarbeit; dies gilt insbesondere für das Spiel zwischen
Jäger-und-Sammler-Kindern. Viele Spiele, die Jäger und Sammler spielen, beinhalten eine enge Abstimmung
der Bewegungen der Spieler auf die der Mitspieler. Das gilt für all ihre Tanz- und tanzähnlichen Spiele, aber
auch für viele ihrer anderen Spiele. So müssen beispielsweise beim spielerischen Jagen mit Netzen diejenigen, die die Netze bedienen, und die, die auf die Büsche schlagen, ihr Handeln ebenso aufeinander abstimmen, wie dies die Erwachsenen beim echten Jagen mit Netzen tun.

4. Beim Spielen üben Kinder Selbstbehauptung und Verhandlungs- und Argumentationsgeschick ein

Um ein erfolgreicher erwachsener Jäger und Sammler zu sein, muss man nicht nur willens und in der Lage sein, mit anderen zu kooperieren, sondern auch, seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche effektiv geltend zu
machen, ohne andere gegen sich aufzubringen. Derartige Selbstbehauptung einzuüben ist überall Bestandteil
gesellschaftlichen Spiels, indem die Mitspieler die Spielregeln aushandeln und entscheiden, wer welche Rolle
übernimmt.
Beobachtet und belauscht man irgendwo eine beliebige Gruppe von Kindern, die ohne Anleitung durch
Erwachsene zusammen spielen, so wird man feststellen, dass sie enorme Zeit darauf verwenden, Regeln oder
Rollen zu verhandeln. Kleine Kinder, die Familie spielen, diskutieren darüber, wer welche Rolle spielen wird,
wer welche Requisiten benutzen darf und so weiter. Ältere Kinder, die eine spontane Runde Fußball spielen,
handeln aus, wer in welchem Team sein wird, und sie diskutieren über die Regeln und ob ein bestimmter
Spielzug fair ist oder nicht.
In all diesen Spielen erproben Kinder die hohe Kunst, so viel wie möglich von dem durchzusetzen, was sie
wollen, während sie gleichzeitig anderen helfen zu erreichen, was diese wollen. Eine wertvollere Fähigkeit als
das ist wohl kaum vorstellbar, sei es für Erfolg im Erwachsenenleben als auch während der Kindheit.
Hinzu kommt, dass die Kinder der Jäger und Sammler ganz explizit Argumentation und Selbstbehauptung üben, wenn sie die Debatten der Erwachsenen im Spiel nachahmen. So beschreibt beispielsweise Collin Turnbull (1982) im Folgenden, wie Kinder der Mbuti – im Alter von 9 Jahren und älter – auf spielerische Weise die Argumente, die sie bei den Erwachsenen gehört hatten, aufbereiteten und zu verbessern versuchten:
„Möglicherweise beginnt es mit der Nachahmung einer echten Auseinandersetzung, deren Zeuge die Kinder im Hauptlager wurden, vielleicht am Vorabend. Alle übernehmen Rollen und imitieren die Erwachsenen. Es
handelt sich beinahe um eine Art von Beurteilung, denn wenn die Erwachsenen den Streit mit Worten
beigelegt haben, ist es wahrscheinlich, dass die Kinder die Sache fallen lassen, sobald sie ihre Imitation
einmal durchgespielt haben. Entdecken die Kinder jedoch Verbesserungsmöglichkeiten, werden sie diese
erkunden; und wenn die Debatte der Erwachsenen unzureichend war und an jenem Abend alle schlecht
gelaunt zu Bett gegangen sind, versuchen die Kinder zu beweisen, dass sie es besser hinbekommen; gelingt
ihnen dies nicht, so greifen sie auf Parodie zurück, die sie so lange fortführen, bis sich alle fast hysterisch am
Boden herumwälzen. Zufälligerweise werden genau auf diese Art viele der sonst höchstwahrscheinlich
gewaltsamen und gefährlichen Streitereien im Erwachsenenleben beigelegt.“

5. Im Spiel üben sich Kinder in Selbstbeherrschung und emotionaler Kontrolle

Allen Berichten zufolge sind Jäger-und-Sammler-Kinder frei von Angst und Depression und verfügen über ein hohes Maß an Selbstvertrauen, Selbstbeherrschung und emotionaler Kontrolle. Lassen Sie mich zur
Veranschaulichung nur eben eine Geschichte über Selbstbeherrschung und emotionale Kontrolle erzählen; sie
stammt von Elizabeth Marshall Thomas, die die Ju/'hoansi untersucht hat.
Thomas berichtete von einer Szene, in der ein junges Ju/'hoansi-Mädchen versehentlich in eine Falle trat, die ein zu Besuch erschienener Biologe einer Hyäne weit ab vom Lager gestellt hatte. Die Zähne der Stahlfalle, die sie nicht öffnen konnte, durchbohrten ihren Fuß, und da die Falle fest im Boden verankert war, konnte sie sich nicht bewegen oder hinsetzen, sondern musste auf ihrem freien Fuß stehen. Offenbar stand sie stundenlang ruhig und gelassen da, um keine räuberischen Hyänen anzulocken, bis sie ihr Onkel fand und befreite. Hierzu Thomas' eigene Worte (2006, S. 216-217):
„Ich werde nie ihre Gelassenheit vergessen, als wir sie zur Lagerstätte brachten und ihre Wunde verbanden.
Viele Stunden hatte sie alleine, hilflos und unter Schmerzen an einer von Hyänen frequentierten Stelle
zugebracht, und doch tat sie, als sei nichts, überhaupt gar nichts geschehen. Im Gegenteil: sie plauderte wie
beiläufig mit anderen über dies und das. Derartige Selbstbeherrschung schien mir unter diesen Umständen
geradezu unmöglich, und ich fragte mich, ob sie die gleichen Nervensysteme wie wir hatten. Aber natürlich
besaßen sie die gleichen Nervensysteme wie wir. Es war ihre Selbstbeherrschung, die ausgeprägter war. Man darf sagen, dass etwas falsch ist, aber man darf es nicht zeigen. Deine Körpersprache muss suggerieren, dass alles okay ist.“
Ich kann nicht behaupten, alle Faktoren zu kennen, die zu so einer außergewöhnlichen Selbstbeherrschung und emotionalen Kontrolle führen, aber ich gehe davon aus, dass Spielen in großem Maß dazu beiträgt. Der
berühmte russische Entwicklungspsychologe Lev Vygotsky vertrat vor vielen Jahren die These, dass die
Entwicklung von Selbstbeherrschung eine Hauptaufgabe von Spielen sei.
Vygotsky wies darauf hin, dass jedes Spiel Regeln folgt. Die Regeln sind Konzepte in den Köpfen der Spieler, die der gespielten Tätigkeit eine Form geben. So ist es beispielsweise eine Grundregel der gesellschaftlichen Rollenspiele jüngerer Kinder, dass jeder Spieler in seiner Charakterrolle bleiben muss. Wenn man einen tapferen Jäger spielt, oder (in unserer Kultur) einen Superhelden, dann darf man nicht weinen, wenn man hinfällt und sich verletzt. Wenn man so tut, als sei man eine Hyäne, dann muss man auf allen Vieren herumlaufen, egal wie unbequem so etwas ist. Selbst wilde Tobespiele folgen Regeln, zum Beispiel in einem gestellten Kampf…
Nach Vygotskys Meinung motivieren der starke Spieltrieb und der Wunsch, das Spiel am Laufen zu halten,
Kinder dazu, sich an die Regeln zu halten, was mit einem hohen Maß an Selbstkontrolle verbunden sein mag.
Man kann beim Spielen nicht impulsiv sein; man muss sich an die Regeln halten, da sonst das Spiel
auseinanderbricht oder die anderen Spieler einen ausschließen. Daher ist Spielen eine fortwährende Übung in
Selbstbeherrschung.
Kinder stellen sich im Spiel auch regelmäßig ihren eigenen Emotionen. Beispielsweise steigen sie auf Bäume
oder springen von Klippen, die gerade so hoch sind, dass sie furchteinflößend sind, aber doch nicht allzu
furchteinflößend. Auf diese Weise lernen sie, dass sie mit Angst umgehen und sie überwinden können.
Außerdem geraten sie in manchen ihrer Spiele in Situationen, die Ärger untereinander hervorrufen, doch sie
müssen lernen, diesen Ärger unter Kontrolle zu halten, damit das Spiel weitergehen kann.
Ähnlich verhält es sich bei Tieren. Indem junge Säugetiere spielerisch kämpfen, jagen, springen und klettern,
setzen sie sich Situationen aus, die ein gewisses Maß an Angst und Wut hervorrufen, doch müssen sie diese
Emotionen kontrollieren, um das Spiel am Laufen zu halten.
Studien, die sich mit dem Spielentzug bei Tieren befassen, stützen die so genannte Spieltheorie der
Emotionsregulation. Ratten und Affen, die in ihrer Jugend der Möglichkeit zu spielen beraubt wurden, sind
später unfähig, ihre Emotionen auf normale Weise zu regulieren. Diese Tiere zeigen übertriebene, unpassende
und lähmende Angst und/oder Aggression, wenn sie Stresssituationen ausgesetzt werden.
Nun kommen wir zum Punkt D des Vortrags und wechseln von den Jägern und Sammlern zu den modernen
westlichen Kulturkreisen, insbesondere zur modernen amerikanischen Kultur, mit der ich mich in meiner
eigenen Forschung beschäftigt habe.

D. Der kurze Aufstieg und Niedergang der vertrauensvollen Erziehung und des Spielens der Kinder im
20. Jahrhundert

Ich erwähnte bereits, dass die vertrauensvolle Erziehung der Jäger und Sammler in Agrar- und frühen
Industriegesellschaften von direktiv-autoritärer und zuletzt von direktiv-behütender Erziehung abgelöst
wurde. Ich füge nun noch hinzu, dass es während der Übergangsphase zwischen autoritärer und behütender
Erziehung immerhin ein kurzes Wiederaufleben der vertrauensvollen Erziehung gab.

1. Das „ Goldene Zeitalter “ des Spielens der Kinder in Nordamerika war zwischen 1900 und 1955
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war – jedenfalls in den USA – die Notwendigkeit für Kinderarbeit stark
zurückgegangen, und die Menschen hatten eine positivere Einstellung zur natürlichen Verspieltheit und
Neugier von Kindern entwickelt. Kinder hatten mehr Freizeit, und größtenteils erlaubten die Erwachsenen
ihnen, diese damit zu verbringen, mit anderen Kindern zu spielen und zu erforschen, unbeaufsichtigt, fast wie
die Kinder der Jäger und Sammler.
In seiner maßgebenden Chronik über das Spielen der Kinder in Amerika beschreibt Howard Chudacoff die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als das Goldene Zeitalter des unbehelligten Spielens der Kinder. Während dieser Zeit hatten die Kinder mehr Freiraum zu spielen als je zuvor im post-kolonialen Amerika, und mehr Zeit, als sie seitdem je gehabt haben. Vertrauensvolle Erziehung war vorherrschend, jedenfalls in dem Sinne, dass Eltern ihren Kindern zutrauten draußen zu spielen, mit anderen Kindern und ohne Aufsicht durch
Erwachsene.

2. Seit etwa 1955 hat die Freiheit der Kinder, zu spielen und zu erforschen, kontinuierlich abgenommen
Seit etwa 1955 können wir – zumindest in den USA – einen kontinuierlichen Rückgang von vertrauensvoller
Erziehung und des Spielens der Kinder feststellen, einhergehend mit einem kontinuierlichen Anstieg von
direktiv-behütender Erziehung und der Zeit, die Kinder unter der direkten Anleitung und Aufsicht von
Erwachsenen stehen, innerhalb wie außerhalb von Schulen.

3. Einige Gründe für diesen Rückgang: Verlust von Wohnvierteln, Zunahme von Angst, Machtzuwachs der
Schulen
Gründe für den Rückgang der vertrauensvollen Erziehung:
• Rückgang von Wohnvierteln und Verlust von nachbarschaftlichen Spielgruppen
• Rückgang des gesunden Menschenverstandes vor Ort bezüglich Erziehung und Zunahme von Angst, ausgelöst durch die Medien und „Experten“
• Machtzuwachs der Schulen und Eingriff der Schule in das Familienleben
• Aufkommen eines schulzentrierten Modells zur Kindesentwicklung und Erziehung, welches die Idee mit sich
bringt, dass Kinder am besten lernen, wenn sie von Erwachsenen angeleitet werden, und dass Spielen mehr
oder weniger Zeitverschwendung ist

4. Mit dem Rückgang der Freiheit der Kinder sind psychische Störungen im Kindesalter dramatisch angestiegen
Unter Zuhilfenahme von standardisierten Testmethoden haben Psychologen gezeigt, dass es heute fünf- bis
achtmal mehr Kinder und Jugendliche gibt, die unter Angststörungen und schweren Depressionen leiden, als
noch um 1955.
Im selben Zeitraum hat sich die Selbstmordrate von 15- bis 24-Jährigen fast verdreifacht, die von Kindern unter 15 Jahren sogar vervierfacht. Die Selbstmordrate von Erwachsenen im Alter von 25 bis 40 Jahren ist
währenddessen nur leicht angestiegen, die der über 40-Jährigen sogar gesunken. Eine andere Studie hat
gezeigt, dass das Ausmaß, indem Kinder sich hilflos und fremdbestimmt fühlen, in diesem Zeitraum ebenfalls
kontinuierlich zugenommen hat.
All das klingt logisch. Kinder lernen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, indem sie spielen; und wenn
Kinder nicht spielen können, lernen sie das nicht, sie fühlen sich hilflos, und somit verängstigt, depressiv, und
manchmal hegen sie sogar Selbstmordgedanken.

E. Wie ist es möglich, in der heutigen Zeit vertrauensvolle Eltern zu werden?

Mal angenommen, wir seien Eltern, die vertrauensvollere Beziehungen mit unseren Kindern haben möchten;
wie können wir das erreichen? Wir müssen darum kämpfen, unsere Ängste und den gesellschaftlichen Druck
zu überwinden, die einer vertrauensvollen Erziehung im Wege stehen.

Dazu ein paar Vorschläge:

1. Überprüfen Sie Ihre eigenen Werte und fragen Sie sich, wie diese erworben werden

Der erste Schritt zur vertrauensvollen Erziehung liegt darin, dass wir einen Blick auf unsere eigenen Werte
werfen und darüber nachdenken, inwiefern diese auf unsere Kinder und unsere Beziehung zu ihnen
angewendet werden können. Wenn in unseren Wertvorstellungen Freiheit, Eigenverantwortung,
Selbstinitiative, Ehrlichkeit, Integrität und Achtsamkeit für andere weit vorne stehen, und wenn sie
Eigenschaften verkörpern, die wir gerne auch bei unseren Kindern sähen, dann werden wir uns wünschen,
vertrauensvolle Eltern zu sein.
Nichts davon kann durch Dozieren, mit Zuckerbrot oder Peitsche beigebracht werden. Es wird erworben oder geht verloren durch die Erfahrungen im Alltag, die die Werte bestärken oder sie unterdrücken. Wir können unseren Kindern dabei helfen, diese Werte anzulegen, indem wir sie vorleben und sie in der Beziehung mit
unseren Kindern anwenden. Vertrauen erzeugt Vertrauenswürdigkeit. Eigeninitiative und alle anderen
Eigenschaften, die sich darauf beziehen, kann ein Kind nur im Rahmen von Freiheit entwickeln.

2. Verabschieden Sie sich von dem Gedanken, dass wir die Zukunft unserer Kinder bestimmen

Wenn wir Freiheit und Eigenverantwortung einen hohen Stellenwert einräumen, müssen wir das Recht unserer Kinder anerkennen, ihr Leben selbst zu gestalten. Um sich Verantwortung anzueignen, müssen Kinder lernen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, und dies können sie nur in praktischer Anwendung.
Allen liebenden und fürsorglichen Eltern ist die Zukunft ihrer Kinder wichtig; deshalb ist es vielleicht schwer,
nicht zu versuchen, diese Zukunft zu kontrollieren. Aber der Versuch, die Kontrolle zu übernehmen, bewirkt
genau das Gegenteil. Wenn wir versuchen, das Schicksal unserer Kinder zu bestimmen, berauben wir sie der
Möglichkeit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Wenn wir versuchen, unsere Kinder sicher durch die täglichen und wöchentlichen Wirren des Lebens zu lotsen, hindern wir sie daran, sich selbst im Navigieren zu üben und aus ihren Fehlern zu lernen.
Wenn wir unseren Kinden Rat andienen, um den sie nicht gebeten haben und den sie nicht brauchen, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass sie uns um Rat fragen werden, wenn sie ihn wirklich wollen und brauchen.
Als vertrauensvolle Eltern müssen wir uns daran erinnern, dass unsere Kinder nicht wir sind, und dass sie nicht uns gehören. Sie sind eigenständige, einzigartige Personen, die die Verantwortung für ihr Schicksal selbst tragen müssen. Wir sind lediglich Teil des Ausgangs-Umfelds, das die Kinder benutzen, um sich selbst zu erschaffen. Wir können dabei behilflich sein, aber wir können nicht steuern.
Ob unsere Kinder Erfolg haben oder nicht, liegt bei ihnen, nicht bei uns; ebenso obliegt es ihnen und nicht uns,
zu werten, was Erfolg oder was Fehlschlag ist. Die Welt ist voller unglücklicher Anwälte, Ärzte und
Manager; und viele Angestellte und Hausmeister sind glücklich, erfüllt und anständig.
Eine erfolgreiche Karriere ist nicht gleichbedeutend mit einem erfolgreichen Leben. Wir können in jedem Beruf glücklich oder unglücklich sein; es ist aber unmöglich, längerfristig glücklich zu sein, wenn wir das Gefühl haben, dass unser Leben  nicht uns gehört.

3. Finden Sie oder gestalten Sie geschützte Orte und Anlässe, wo Kinder frei spielen und erforschen können

Als vertrauensvolle Eltern haben wir durchaus eine Reihe von wichtigen Verpflichtungen unseren Kindern
gegenüber.
Wir können die Schiffe unserer Kinder nicht manövrieren oder ihnen auch nur viele Navigationstricks
beibringen; was wir aber sehr wohl tun können, ist ihnen einen Teich zu Verfügung zu stellen, auf dem sie
sich das Navigieren beibringen.
Dieser Teich sollte idealerweise ein geschützter Ort sein, an dem unsere Kinder mit anderen Kindern spielen
und forschen können, in altersgemischten Gruppen und ohne Aufsicht durch Erwachsene. Es ist unsere
Aufgabe als Eltern und als Angehörige einer größeren Gemeinschaft, solche Orte zu entdecken und zu
schaffen.

4. Ziehen sie Alternativen zu Regelschulen in Betracht

Um vertrauensvolle Eltern zu sein, könnte es nötig sein, dass Sie eine Alternative zur Regelschule für Ihre
Kinder finden, eine Alternative, die im Einklang (statt im Widerspruch) steht mit dem Wunsch und der
Fähigkeit der Kinder, sich um ihre Bildung selbst zu kümmern.

F. Sudbury-Schulen als Rahmen für selbstbestimmtes Lernen

1. Die Sudbury Valley School und Schulen, die nach ihrem Vorbild arbeiten (wie zum Beispiel die TING-Schule in Berlin), sind dazu gedacht, Kindern zu ermöglichen, ihre Bildung selbst in die Hand zu nehmen.
Allgemeine Informationen zur Sudbury Valley School: 1968 gegründet, also jetzt bereits seit über 44 Jahren am Start. Üblicherweise rund 150 Schüler und 10 Mitarbeiter. Das Alter der Schüler reicht von den 4-Jährigen bis zu den 18- und 19-Jährigen.
Die Schule wird demokratisch verwaltet mittels der Schulversammlung, in der jeder Schüler und Mitarbeiter
unabhängig vom Alter je eine Stimme hat. Die Versammlung stellt alle Schulregeln auf und trifft alle
Entscheidungen zur Verwaltung der Schule. Das Justizkomitee, das aus Schulmitgliedern aller Altersstufen
besteht, lädt Schüler und Mitarbeiter vor, die beschuldigt werden, eine Regel gebrochen zu haben.

2. Die Nähe der Sudbury Valley School zum Jäger und Sammler-Kollektiv
Hauptsächlich möchte ich darlegen, dass die Bildungsphilosophie der Sudbury Valley School im Prinzip der der Jäger und Sammler entspricht. Den Schülern wird zugetraut, ihre eigene Bildung zu steuern und zu
bestimmen, und sie bilden sich selbst durch freies Spielen und Forschen.
Die Mitarbeiter der Schule bieten keinen Unterricht an, nehmen keine Prüfungen ab und stellen keinen Lehrplan für die Schüler auf. Die Schüler können den ganzen Tag lang tun, was sie wollen.
Eine meiner ersten Studien über die Sudbury Valley School war eine Studie über ihre Absolventen, die zeigte, dass die Schüler sich tatsächlich hervorragend selbst bilden. Nach ihrer Schulzeit erlangen sie einträgliche Jobs und führen ein freudvolles Leben. Diejenigen, die sich für eine höhere Bildung entscheiden, erhalten ohne größere Schwierigkeiten Studienplätze, Eliteuniversitäten mit inbegriffen...
Sudbury Schulen funktionieren, weil sie, umgemünzt auf die heutige Zeit, die selben Bildungsmöglichkeiten
bieten wie eine Gemeinschaft von Jägern und Sammlern – nämlich die Bedingungen, die die Fähigkeit der
Kinder, sich selbst zu bilden, optimieren:
(a) Zeit und Raum für Spiel und Forschen,
(b) unbeschränkte Altersmischung,
(c) Zugang zu einer Vielfalt sachkundiger und fürsorglicher Erwachsener,
(d) Zugang zu Gerätschaft und die Freiheit, damit zu spielen,
(e) Einbindung in eine moralische und demokratische Gemeinschaft.

Übersetzung: Lutz/Schiffner/Schmidt

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Samstag, 5. Januar 2013

Ich denke, Charlotte Noack fasst gut in Worte, was ich täglich erlebe. Aber meiner Meinung nach werden nicht nur Schüler passivisiert, auch die Lehrer. Ein gemeinsames Gestalten von schule und Unterricht der an diesen beteiligten Personen ist kaum noch möglich und von vielen kaum noch erwünscht. SChule verkommt zum "Abarbeiten". Ich bewundere alle, aber insbesondere junge Menschen, die den Mut haben, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen!


Ich werde passivisiert Drucken
charlotte_noackDie siebzehnjährige Berliner Schülerin Charlotte Noack hat sich mit einer Mitschülerin zu Beginn der 11. Klasse von der Schule abgemeldet. Gemeinsam bereiten sie sich aufs Abitur vor. Darauf wollen sie nicht verzichten. Aber dem schädlichen Einfluss der Schule, die sie erfahren haben, wollen sie entkommen.

Das Nichtschulabitur

Von Charlotte Noack „Was tun?“ fragt Lenin und bezieht sich in seiner Rede auf einen gleichnamigen Roman von Tschernytschewsky. Das Buch handelt von einer bürgerlichen Frau, die ihre Zeit dazu gebraucht, ein Kollektiv von Frauen zu organisieren, die sich selbst finanzieren und unterrichten, kurz, die ihrem Leben einen Sinn geben. Einen Sinn aus sich selbst heraus zu finden war etwas, das ich, selbst als großer Tschernytschewsky-Fan völlig verlernt hatte. Gruseligerweise ohne es selbst zu merken.
Ich hätte mich immer als unabhängigen, freien Menschen bezeichnet, der die Schule liebt. Eine von denen, die genug auf dem Kasten haben, nie etwas tun zu müssen um durchzukommen und die Zeit dazu nutzen sich zu langweilen, mit Freunden zu unterhalten und auszuprobieren, ob und wie man sich in der Chemiestunde die Nägel lackieren kann.
Aber als mir eines Tages ein Lehrer eine Arbeit mit den Worten zurückgab, sie sei sehr gut, aber er glaube, sie sei noch nicht ganz fertig und ich sollte mich doch noch ein bisschen mit ihr auseinandersetzen, war ich perplex. Mein erster Gedanke sah ungefähr folgendermaßen aus: „Häh? Wieso, ich hab doch meine Note und der Abgabetermin ist doch sowieso längst vorbei, wieso soll ich mich denn da nochmal ran setzen?“ Irgendwo war mir aber nicht ganz wohl bei dieser Reaktion, also nahm ich die Arbeit an. Erst als ich mich über Monate hinweg nicht dazu motivieren konnte, mich nach der Schule hinzusetzen und den Text zu überarbeiten, ohne Abgabetermin und ohne Zweck, fiel mir die Idiotie meiner Situation auf:
Ich gehe in die Schule, damit ich etwas lerne, aber der Effekt des Systems ist, dass ich vollkommen vergesse, dass ich etwas lernen will, sondern vielmehr mich in einer Pflichtsituation befinde, in der ich eine gewisse Leistung erbringen muss, um in Ruhe gelassen zu werden. Den Rest der Zeit will ich bitteschön für mich haben. Dass die Schule eigentlich ein Dienst ist, der mir erbracht wird, damit ich die Chance habe mir bei meinen Lehrer Rat und Hilfe zu holen, geht völlig unter in dieser Entverantwortlichungsmaschine, als die die Schule funktioniert.
Wenn ich Erwachsene frage, was sie z.B. im Chemieunterricht gelernt haben, bekomme ich Antworten wie: „Oh, da saß ich neben einem, der konnte so toll zeichnen.“ Oder: „Ich habe auf einem karierten Blatt 60 Kästchen eingezeichnet und für jede Minute ein Kästchen ausgemalt“ (sie erinnern sich nicht einmal mehr daran, dass eine Schulstunde nur 45 Minuten hat). Daraus schließe ich, dass ich nur einen Bruchteil des in der Schule gelernten Stoffes behalten werde. Wenn das aber der Fall ist, so geht man eigentlich in die Schule, um andere Dinge zu lernen. Solche Dinge wie Texte zu schreiben, sich selbst zu disziplinieren und Verantwortung in Gruppen zu übernehmen. Genau diese Dinge aber lerne ich nicht, sondern im Gegenteil, ich werde passivisiert.
Im Bann meiner neuen Erkenntnis, begann ich mit allen meinen Freunden darüber zu diskutieren. Wir erfanden nach und nach eine Schule, die für uns ideal wäre. Fest davon überzeugt, dass man Dinge auch ermöglichen kann, wenn man sie nur will, fanden wir auch einen Weg: Das Nichtschülerabitur. Nachdem wir uns beim Kultusministerium noch einmal genauer Informiert hatten, stand mein Entschluss fest und ich begann meine Lehrer über mein baldiges Ausscheiden zu informieren. Nur eine Freundin von einer anfangs größeren Gruppe machte schließlich wirklich mit. Ohne sie wäre alles deutlich schwieriger geworden. Sowohl einige Lehrer als auch viele Privatpersonen waren erstaunlich enthusiastisch und unterstützungsbereit.
Nach einem halben Jahr Planung konnten wir beginnen und meldeten uns einfach nach der elften Klasse von der Schule ab.
Unser Lernen sieht jetzt folgendermaßen aus: Wir treffen uns, ganz dem Schulalltag gemäß jeden Tag um acht Uhr und arbeiten, abhängig von unserer Konzentration, bis zwei oder vier. Englisch und Französisch machen wir jeden Tag eine viertel Stunde, da Sprachen nach regelmäßiger Übung verlangen. Ansonsten lernen wir epochal, jede Woche ein Kurshalbjahr lang nur ein Fach. Es gibt vier Kurshalbjahre für jedes Fach und acht für die Leistungskurse, da wir uns in acht statt in fünf Fächern prüfen lassen müssen. So kommen wir auf 30 Wochen. Das ist deutlich weniger als ein Jahr in der zweijährigen Oberstufe (ca. 40 Wochen). Dadurch haben wir mehrere Wochen, die wir für Eigeninteressen nutzen können, zum Beispiel ein Thema von einem anderen Gesichtspunkt her bearbeiten, oder endlich mal alle Filme sehen, die man während der Berlinale gerne sehen würde. Da die Oberstufe aber zwei Jahre hat, wiederholen wir alle Themen. Im ersten Jahr, das wir gerade abschließen, häufen wir alles Wissen an, das die Themen erfordern: Z.B. sich mit den wichtigsten Demokratietheorien auseinandersetzen. Im zweiten Jahr werden wir lernen, dieses Wissen auch anbringen zu können; wie hält man einen guten Vortrag? Wie schreibt man eine Erörterung? Usw. Selbstverständlich benötigt man für das zweite Jahr das im ersten erarbeitete Wissen, gleichzeitig wiederholt man durch den Vortrag das Wissen des Vorjahrs. Besonderen Wert legen wir dabei darauf, zu lernen wie wir uns selbstständig kritisieren und verbessern können.
Zurzeit sind wir sehr zufrieden und überzeugt, genau den für uns richtigen Weg zu gehen, denn selbst wenn unsere Abiturnote leiden sollte -was uns das Schulamt prophezeit hat- haben wir viel Verantwortung, Politik und vor allem viel über uns selbst gelernt.
Was wir uns immer sagen, wenn es mal nicht so gut läuft: „Es ist untragbar in der Schule zu sitzen, sich zu beschweren und trotzdem nichts zu ändern, aber wenn wir zurück in die Schule gehen müssen, wissen wir wenigstens, warum wir dort sind!“.
http://www.adz-netzwerk.de/Ich-werde-passivisiert.php