Montag, 5. Dezember 2011

Kompetenzorientierung - Wirklich ein Allheilmittel?


Anschluß an eine Podiumdiskussion der GEW über Pro und Contra von Bildungsstandards und Kompetenzorietierung hat Peter Euler (Technische Universität Darmstadt) 10 Thesen zu kompetenzorientierten Bildungsstandards formuliert und zur Diskussion gestellt.
Auf dem Blog sind sie ganz zu finden. Ich habe mal versucht es zusammenzufassen, allerdings ist der Text sehr komprimiert und die letzten drei Punkte kann ich gar nicht mehr zusammenfassen.
  1. Die neueste Bildungsreform mit kompetenzorientierten Bildungsstandards im Gefolge der Pisa-Ergebnisse ist keine, die die Schule mehr zu dem machen könnte, was sie pädagogisch sein sollte. Im Gegenteil entspringt sie dem massiven Interesse an der Unterwerfung aller Lebensbereiche unter ökonomische Verwertungsbedingungen, wodurch Bildungspolitik explizit zu einem Teil der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik verkommt.
  2. Die verwendete Sprache der Reform ist die der Wirtschaft, die Instrumente aus der Betriebswirtschaftslehre und der pädagogischen Psychologie. Propagiert wird das „Unternehmen Bildung“, das der Sicherung und Steigerung der Lerneffizienz verpflichtet ist.
  3. Kompetenzorientierung“ heißt das Zauberwort! Von der bestehenden Unterrichtspraxis zeichnet die Reformpropaganda ein Zerrbild der Inputorientierung und Stofffixiertheit im lehrerzentrierten Unterricht, um von dieser Folie aus die neu ausgerufene „Schülerorientierung“ in hellstem Licht als Lösung alter und neuer pädagogischer Probleme erstrahlen zu lassen.
  4. Die Kompetenzorientierung als Erfolgsmittel ist nicht wissenschaftlich empirisch abgesichert.
  5. Die Pisa-Studien erheben lediglich Lernergebnisse, sie evaluieren keinen Unterricht bzw. keine Prozesse. Also ist es auch nicht möglich, bessere Prozesse aus den Ergebnissen abzuleiten.
  6. Kompetenzen gehören zur Bildung. Aber: Bildung geht nicht in der Summe von Kompetenzen auf.
  7. Die Diskrepanz zwischen Wissen und Verstehen ist zentral. Verstehen besteht in der individuellen Konstruktion im Gehirn jedes Einzelnen.
  8. Das Plädoyer für das „neue Unterrichtsskript“ wirft dem alten vor, „an der Vermittlung von Inhalten ausgerichtet“ gewesen zu sein (Lersch 2010). Da lauert die falsche Alternative, ob der Unterricht an der Sache oder am Schüler orientiert sein soll? Die Rede von Selbstbestimmung und Schüler-Orientierung verfängt gerne bei Pädagogen, aber entscheidend für ein pädagogisches Verhältnis ist, ob der Unterricht als Veranstaltung begriffen wird, dem Schüler die Sacherschließung zu ermöglichen. Erfolgt dies nicht, ist die Kompetenzorientierung eine leere Formel und in gänzlicher Übereinstimmung mit der neuen Rhetorik vom Input zum Output, vom Lehrer zum Berater/Coach, vom Lehren zum Lernen, und dann ganz steil: vom Lernen des Lernens, also von einem Lernen, bei dem das Lernen Inhalt ist, also keinen Inhalt mehr hat.
  9. Fallen Kompetenzbehauptung und Sachbezug auseinander, setzt die allerorten beobachtbare Beliebigkeit in der Begriffsverwendung ein und damit wird keine pädagogische Praxis besser. Dazu passt allerdings der allerorten feststellbare Qualitätsverlust durch die sog. Qualitätssicherung.
  10. Das Ende einer unpädagogischen Reform ist überfällig. Kaum ist irgendwo festzustellen, dass etwas besser geworden ist, aber Verschleiß, Frustration und Resignation sind allenthalben unter den Reformwilligen auszumachen. Notwendig ist eine die Bedingungen des Gelingens von Bildung und Pädagogik ernst nehmende Politik. Das verlangt eine beharrliche, politisch langfristig unterstützte und substanzielle, eben auch fachpädagogische Lehrer/innenbildung und Schulentwicklung, die nur durch solide Zusammenarbeit engagierter Lehrer/innen und Forscher/innen vorstellbar ist, nicht als top down Prozess eines Konsortiums. 
Auffällig ist, dass z.B. in der Biologie ja zu meinen Schüler- und Lehrerzeiten nie jemand die Fotosynthese einfach nur als Summenformel zum Auswendiglernen benutzt hat. Ohne das Verstehen der Fotosynthese macht die Zellatmung ja gar keinen Sinn. Sollte es wirklich Lehrkräfte geben, die nur sturres Auswendiglernen propagieren? Und wenn ja, würden just diese Lehrkräfte von dem Kompetenzbegriff umgarnt werden und machen nun gänzlich anderen Unterricht?
Ich glaube, dass in einigen Jahren, der Passus „Die Schüler können die Fotosynthese in ihrer Wichtigkeit erkennen und erklären.“ wieder zu einem schlichten „Fotosynthese“ wird. Anders gefragt: Gibt es Unterricht ohne Sozialkompetenz? Ist Unterricht in einer Gruppe nicht auch soziales Lernen? Sicherlich muss man immer optimieren und verbessern, aber nur durch das Paraphrasieren alter Lehrpläne ist es wohl nicht getan.

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