Montag, 28. November 2011

Offener Unterricht: Am Anfang oder am Ende ?

Plädoyer für ein Überdenken "freier Arbeitsformen"

Falko Peschel

Schule im 21. Jahrhundert - Schule im Umbruch?

Schon seit dem Erscheinen der letzten Richtlinien für die Grundschule Mitte der achtziger Jahre ist die Reform der Grundschule legitimiert, Lehrer und Schulaufsicht lösen sich schneller oder langsamer von alten Konzepten und versuchen, eine andere, neue Schule zu machen.

Kernpunkt der Reform ist die Öffnung von Schule; der lernzielorientierte Frontalunterricht weicht der Idee eines "Offenen Unterrichts". Einige Schulen sind sofort dabei, sehen Schule als Lern- und Lebensraum der Kinder, nutzen die ihnen jetzt durch unverbindlicher formulierte Lehrpläne anvertraute Freiheit und entwickeln engagiert eigene Schulprogramme. Andere Schulen sind schwerfälliger, halten die neuen Methoden entweder für eine wieder vorbeigehende "Masche" wie seinerzeit die Mengenlehre oder aber "haben es ja immer schon so gemacht".

Was herauskommt ist eine Praxis Offenen Unterrichts, die verschiedener nicht sein könnte. Dem Offenen Unterricht vorangestellte Unterrichtsmethoden wie Freiarbeit, Wochenplan und Projektunterricht werden -da indirekt vorgeschrieben - mittlerweile formal von den meisten Lehrern bzw. Schulen praktiziert. Beleuchtet man aber das, was dort im Unterricht passiert, so ist von einem "offenen" Unterricht oft nichts zu spüren: Freiarbeit pendelt zwischen Laisser-faire und strengen Vorgaben hin und her und der Wochenplan ist die Zusammenfassung aller vorher einzeln ausgegebenen Arbeitsblätter anstelle einer auf das einzelne Kind abgestimmten Arbeitshilfe zum selbständigen Lernen. Projektunterricht in Reinform weicht "Alibi-Projektwochen", die meist komplett von den Lehrern vorgegeben werden und in themenzentrierten Unterrichtsreihen oder "Hobbyprogrammen" mit anschließender Ergebnisausstellung zur "Schulpromotion" enden.

Wer dabei auf der Strecke bleibt, sind Kind und Reform. Beim "Vorschreiben" freien Arbeitens durch die Richtlinien hat man nicht bedacht, dass das mit der Praktizierung freier Lernformen einhergehende Vertrauen in das selbständige Lernen der Kinder bei vielen Lehrpersonen so nicht vorhanden ist. Die Folge ist klar: Man überträgt die neuen Begriffe auf die alte Praxis - die Begriffe verwaschen. Die Utopie eines Offenen Unterrichts ist - nach einem missglückten Start Anfang der siebziger Jahre- durch aktuelle Konzepte wie "Lesen durch Schreiben", "Mathe 2000" und Werkstattunterricht zwar nun scheinbar wieder hoffähig geworden, hat sich im Prinzip aber selbst verloren und stellt nur noch die blasse Kontur des ursprünglichen Ideals dar:

selbständige Kinder arbeiten intensiv und mit Spaß an eigenen Aufgaben, gestalten sich ihre Schule und ihren Unterricht gemeinsam selber.

Besinnt man sich wieder auf dieses Ideal, so wird der Missbrauch der oben angesprochenen freien Unterrichtsformen offenbar. Das Vertrauen in die Kinder lässt keine Kompromisse zu. Der Lehrer muss die Schüler vom ersten Tag an wirklich selbständig arbeiten lassen. Er muss sie als Individuen sehen und annehmen. Er muss ihnen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, darf dabei aber nicht ihre Selbständigkeit einschränken.

So verstandener Offener Unterricht zeigt die Ziele von Freiarbeit, Wochenplan und Projektunterricht wieder anschaulich und fasst die Arbeitsformen im Endeffekt auch wieder zusammen: Freiarbeit ist die individuelle Beschäftigung mit selbstausgesuchten Themen und kreativen, eben nicht rein reproduktiven Materialien, Wochenplan die individuelle Organisationshilfe, die sich der einzelne Schüler selbst zusammenstellt und Projektunterricht das gemeinsam geplante Angehen eines zusammen ausgesuchten Themas.

Dabei muss nicht jede Stunde Unterricht in der Schule Offener Unterricht sein, aber dieser muss immer die Ausgangsbasis darstellen. Das Vertrauen des Lehrers in die Schüler muss bei jedem Fach und jeder Methode ehrlich und für die Kinder offensichtlich sein. Halte ich als Lehrer einen großen Teil "Informationsunterricht" für notwendig, so müssen diese Phasen aus dem Unterricht situativ begründbar sein und so für den Schüler transparent sein. Nur so kann eine innere Lernbereitschaft entstehen; man muss wissen, wofür man etwas lernt.

Läuft der lehrerzentrierte Unterricht nicht nach diesem Grundsatz ab, so können die offeneren Phasen nur ein nicht ernst gemeintes Alibi zur "Richtlinienverwirklichung" darstellen, denn pädagogisch ist dieser harte Wechsel des "Erziehungsstils" nicht zu rechtfertigen, da sich die Schüler notgedrungen in einer aussichtslosen Doppelbindungssituation befinden: Einerseits größtmögliche Anpassung an den vorgegebenen Stoff, den Lernweg, an Zeit und Raum, andererseits kreatives Entdecken und selbständiger Wissenserwerb auf individuellem Weg. Diesen Widerspruch zu überwinden, das können nur die intelligentesten und anpassungsfähigsten Kinder schaffen.

Schön wäre es, wenn wieder viele Lehrer Vertrauen in die ihnen anvertrauten Kinder und ihr Lernen fassen und ihre Zeit nicht mit "Motivationstricks" und "Überdifferenzierung" verschenken würden, ihre Arbeitsmittelsammlungen auf ein paar wirklich wertvolle, kreativitätsfördernde, zum Selber-Entdecken und Selber-Denken anregende Materialien reduzieren würden (z.B. nur weiße Blätter und Sachbücher) und so den Kindern die Chance gäben, dem schulischen Konsum zu entgehen und einmal wirklich selbst arbeiten zu dürfen.

Und dies ganz, ganz konsequent und mit einem hohen Ideal!"

http://offener-unterricht.net/ou/start-offu.php?action=selbler
http://offener-unterricht.net/

7 Kommentare:

  1. Ich glaube aber immer noch, dass gute Schüler immer lernen (Frontal, Offen, ...) und gerade die schlechteren Schüler brauchen solche "Motivationstricks", da sie vom Elternhaus und aufgrund ihrer Sozialisation eben keine "guten Voraussetzungen" haben.
    weiterhin glaube ich, dass Schule auch ein Ort der Pluralität der Fächer sein muss - Schule soll auch mit (vielleicht nur zu Beginn) wenig Geliebten konfrontieren. Erfolgserlebnisse in Musik oder Kunst reichen alleine nicht aus, um in unserer heutigen Gesellschaft zu überleben. Auch das muss Schule leisten.

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  2. glauben kann man viel ;-)

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  3. Quelle: http://www.schulformdebatte.de/contentbox/data/uhl.pdf

    Der dritte Bereich, in dem sich ungünstige Wirkungen gezeigt haben, ist der Lernerfolg bei den leistungsschwächeren Schülern. Die guten Schüler erreichen bei offenen Verfahren Leistungen, die ungefähr denen im konventionellen Unterricht entsprechen. Es handelt sich bei ihnen um die Spitzengruppe, die bei fast jeder Unterrichtsmethode (und bei fast allen Lehrern) guten Erfolg hat.
    Dagegen schneiden die schwächeren Schüler und außerdem solche Schüler, die die Zuwendung
    des Lehrers suchen oder Anleitung und Ermutigung brauchen, im offenen Unterricht vergleichsweise schlecht ab. Sie sind durch die große Freiheit und die vielen Wahlmöglichkeiten überfordert
    und resignieren schnell. Ihre kurzfristige Lernleistung ist geringer als im herkömmlichen Unterricht, ebenso die längerfristige Behaltens-, Anwendungs- und Übertragungsleistung. In einer
    Vergleichsuntersuchung von EINSIEDLER hat sich ergeben, dass Grundschüler mit allgemein
    geringer Leistungsfähigkeit, schwachem Gedächtnis, geringer Sprachdifferenziertheit und schwacher Motivation von einem lehrergeleiteten und nach dem Schema Problem-Beispiele-RegelAbstraktion geordneten Unterricht mehr profitieren als von der weniger strukturierten Form des „entdeckenden“ Unterrichts (1976, bes. S. 291-297).

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  4. Die Frage ist für mich, wollen wir die Ziele des bisherigen Schulsystems mit offenem Unterricht erreichen? Meiner Meinung nach sind die Fertigkeiten und Qualifikationen, die wir mit dem bisherigen Schulsystem, welches ich kenne, nicht erstrebenswert.
    Für mich bedeutet Paradigmenwechsel GRUNDSÄTZLICH über Lerninhalte nachzudenken und da folge ich Ken Robinson, dass die aktuelle Welt Kreativität braucht und die wird in nur wenigen "normalen" Schulen überhaupt nur ansatzweise gefördert.
    Und ich glaube außerdem, wie Einstein, dass wir Problemeniemals mit derselben Denkweise lösen können, durch die sie entstanden sind. Um neue Denkweisen entstehen zu lassen, dürfen wir meiner Meinung nach nicht alle schon von früh in "unsere" Denkweise erziehen.
    Und ich denke, "leistungsschwache" Kinder gibt es nicht, leistungsschwach ist jeder Mensch in irgendwelchen Bereichen, die Frage ist für mich, bietet unser Schulsystem die Möglichkeit die Leistungsstärke eines jeden Kindes zu fordern oder fördern oder sich entwickeln zu lassen?
    Und meine Frage ist, wie erreiche ich, dass jedes Kind die eigenen Stärken entdeckt und so viel Selbsteinschätzunge und Selbstbewusstsein bekommt, dass es seine persönlich möglichen Ziele erreichen kann, die es glücklich macht.

    “Life's battles don't always go to the stronger or faster man. But sooner or later the man who wins, is the man who thinks he can.”
    Vince Lombardi
    Vivian

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  5. Eine Welt, in der das bedingungslose Grundeinkommen verwirklicht wurde, mag das sicherlich gehen, aber davon sind wir weit entfernt. Bis dahin muss die Schule sich den Realitäten stellen. In einer Welt von die globalisierte Arbeitsteilung, wie sie Adam Smith auch schon vorschwebte, ist immer noch jedes Land gefordert sich immer wieder neu zu erfinden. Manchen Ländern und Regionen gelingt dies besser (--> Strukturwandel), anderen Schlechter. Oder, wie weiland der bayrische Innenminister Beckstei sagte: "Wir können uns alle nicht gegenseitig die Haare schneiden."

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  6. Katie Bayron:
    Ist das wahr?
    Kannst du dir da sicher sein?

    Und meine Frage: Wenn wir uns an die Gegebenheiten anpassen, wie wollen wir dann etwas verändern?
    Vivian

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  7. Henne oder Ei? Wir bilden jungen Menschen aus, die sich zunächst in diesem System zurecht finden müssen, die überleben müssen, die ihre Familie versorgen müssen.

    An Katie Bayron:
    Ja, es ist wahr.
    Ja, ich bin sicher.

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